Separate Gruppen zwischen städtischer Leitkultur, Subkultur und Parallelgesellschaft


Das Projekt ist Teil der Thematischen Area 3: Urbane Verdichtung

Urbane Handlungsräume sind in besonderem Maße von komplexen sozialen Gefügen und Hierarchien geprägt, die es aufrechtzuerhalten, zu legitimieren und zu organisieren gilt. Akteure, die Ressourcen, Wissensbestände und Netzwerke außerhalb des urbanen (oder im engeren Sinne politisch normativen) Diskursraums zu aktivieren vermögen – darunter mobile Akteure, transregional vernetzte Gruppen, Subkulturen und Parallelgesellschaften – können zur Herausforderung für das Selbstverständnis und den Legitimitätsanspruch der städtischen Ordnung und zum Auslöser für soziale Spannungen, Krisen und Wandel werden.

Die Existenz von sozialen Formierungen, die sich außerhalb des ‚zivischen‘ Raumes stellen, hat das Potential, als Herausforderung an den normativen Geltungsanspruch der zivischen Gesellschaft wahrgenommen zu werden. Sie kann sichtbar machen, dass der Anspruch der zivilen und politischen Gesellschaft, normative Leitinstanz (und geradezu Verkörperung) der Stadt als solcher im Sinne einer homogenen Gesellschaft zu sein, im Widerspruch steht sowohl zur Realität beständiger Fluktuationen zwischen Stadt und Umwelt als auch zur Vielfältigkeit der sozialen Rollen einzelner Stadtbewohner, die zugleich Angehörige der zivischen Gesellschaft wie auch separater Gruppen mit jeweils eigenen Normenapparaten sein können.

Das Teilprojekt nimmt separate Akteursgruppen mit ihren Handlungsspielräumen in den Blick, die im Projekt an Beispielen aus verschiedenen Epochen (Antike bis frühe Neuzeit) mit untersucht werden. Dabei liegt ein geographischer Schwerpunkt im östlichen Mittelmeerraum (besonders auf Kleinasien sowie der historischen Region Syrien) und ein thematischer Fokus auf religiösen Fundierungen sozialer Kohäsion (z. B. ‚separate Religion‘ in der Antike).

Einen ersten Ansatzpunkt bietet die Perspektive der ordnenden Instanzen auf separate Gruppen und Akteure: Wer äußert sich zur Ordnung in der Stadt, welche unterschiedlichen Vorstellungen kursieren, und welche setzen sich durch? Welche Kategorien, Konzepte und Begriffe finden bei der Beschreibung und Abgrenzung separater bzw. separierter Gruppen Verwendung? Einen zweiten, komplementären Zugang bietet der Fokus auf Gruppen und Akteure, die als separat wahrgenommen werden und/oder sich selbst in dieser Weise verstehen: Wie konstruieren separate Gruppierungen ihre Identität, ihren Statues und ihre Kohärenz? Wie nehmen sie die Differenz zu zivischen bzw. Urbanen Ordnungen wahr? Wie bewältigen Sie damit einhergehende Konflikte? Hier geraten insbesondere Akteure in den Blick, die Zugang zu alternativen Ordnungssystemen haben: So z.B. mobile Akteure und nomadisch, tribal, genealogisch oder vereinsmäßig organisierte Gruppierungen.

Vor dem Hintergrund verschiedener soziokultureller Rahmenbedingungen fragt das Teilprojekt insbesondere nach Prozessen, durch welche die Präsenz separater Gruppen als Herausforderung wahrgenommen und konzeptualisiert wird und untersucht Reaktionen, die diese Herausforderungen im Handeln der normgebenden Leitinstanzen sowie für die betroffenen Separatgruppen hervorrufen. Beide Seiten sind dabei nicht klar voneinander getrennt, sondern wirken wechselseitig aufeinander ein, während das Verhältnis zwischen zivischer Gesellschaft und (nur in manchen Fällen weiterhin) separaten Gruppen beständig neu verhandelt wird.

Als Fallbeispiele sind vorgesehen: 1.  Re-Aristokratisierung des Ritus im Mysterienfrevel von 415 v. Chr.? (Aufsatz Blank); 2. Separate Sozialformen im frühen Christentum zwischen Verein und Parallelgesellschaft (2-3 Qualifikationsschriften im Rahmen eines möglichen Drittmittelprojekts Blank); 3. Entzauberte Rituale. Spuren der Fluchtafeln und ihre Diskurs-Funktion für die Adressatenschaft der Johannesoffenbarung im Kleinasien des 1. Jhs. N. Chr. (Qualifikationsschrift Hölscher); 4. Genealogisch, transregional organisierte Gruppierungen im osmanischen Kontext (Prophetennachkommen zwischen Stadtgesellschaft und alternativen Handlungsräumen) (Aufsatz Henning); 5. Schilderungen tribaler und nomadischer Akteure in osmanischer Ratgeberliteratur (normative Texte über soziale Ordnung) (ev. Qualifikationsschrift Henning)

Stellung innerhalb der Area: Ein Fokus auf unterschiedliche soziale Gruppen innerhalb urbaner Verdichtungen besteht grundsätzlich auch bei den Teilprojekten von Alexander Pruß (soziale Balance), Christine Walde (Lebenshilfe), Heide Frielinghaus (Theater) und Johannes Lipps (Mogontiacum). Insbesondere ergeben sich aber gewinnbringende Schnittmengen mit den Untersuchungen von Merav Mack zu den religiösen Gruppen in Jerusalem.